Der stille Blues nach den Ferien
Sep 30, 2025
Vor ein paar Tagen bin ich aus dem Urlaub zurückgekommen. Zwei Wochen Frankreich, fern von allem, was nach Alltag riecht. Wir waren unterwegs mit dem Velo, haben die Landschaft erkundet, den Körper gespürt, den Kopf frei bekommen. Morgens raus, egal bei welchem Wetter, abends müde ins Bett. Da war dieses Gefühl von Weite und Einfachheit, und die Zeit tickte einfach anders.
Es war ein gelungener Tapetenwechsel. Die Batterien wurden aufgeladen, Muskeln gestählt. Und doch: Zurück im Alltag fühle ich mich erstaunlich schwer. Auf mich warteten keine Deadlines, kein grosser Stress – trotzdem ist da dieser Blues. Eine Schwere im Kopf, die ich nicht recht fassen kann, eine Sehnsucht zurück in die Landschaften in Frankreich. Wieso fühlt sich der Übergang so hart an?
Vielleicht, weil im Urlaub vieles von selbst ins Lot rutscht. Wir haben ihn über die Jahre entstresst: keine Hetze, keine Jagd nach Hotspots. Stattdessen liegt unser Fokus auf Natur, Schlaf, Bewegung, Rhythmus. Ein Leben im Fluss. Einfach da sein, mit Körper und Seele. Ist es genau das, was ich jetzt so vermisse?
Ich achte auch zuhause auf Schlaf, Bewegung, Pausen. Was ist also anders? Vielleicht geht es weniger um die grosse Erholung – und mehr um die Zwischentöne. Momente ohne Zweck oder Ziel. Draussen sitzen, den Wind auf der Haut spüren. Wann gönne ich mir das hier, ohne schlechtes Gewissen?
Die Erschöpfung nach der Erholung wird häufig als ‚Post-Holiday-Syndrom‘ bezeichnet. Verschiedene Studien zeigen, dass der positive Effekt des Urlaubs meist schon nach wenigen Tagen bis Wochen abnimmt. Forschungen belegen weiter: Wer seine Urlaubstage aktiv und abwechslungsreich gestaltet, profitiert im Durchschnitt nachhaltiger von der Erholung als bei rein passiven Ferien.
Von daher haben wir alles richtig gemacht, und Urlaubsblues hin oder her: Der positive Effekt bleibt spürbar, aber unterschwellig. Weniger als Dauer-Glücksgefühl, mehr als sanftes Polster, das uns trägt. Und erst auffällt, wenn es wieder fehlt.
Dazu kommt, dass ich selbst meine Auszeit verkläre.
Als ob sie makellos gewesen wären. Doch ehrlich: Auch in Frankreich habe ich zu viel gegessen, zu lange am Handy gehangen. Meinen Alltag also mitgenommen – nur liess er sich dort leichter übersehen. Vielleicht ist der Urlaub gar nicht die perfekte Gegenwelt, sondern ein Spiegel.
Ich bin hier wie dort derselbe Mensch – nur mit anderer Kulisse.
In der Fremde gelingt es mir aber leichter, mich so zu nehmen, wie ich bin. Ein Croissant zu viel? Macht nichts, morgen geht’s auch wieder aufs Rad. Noch eine Stunde am Handy? Geschenkt, ich sitze ja draussen in der Sonne. Warum fällt es mir im Alltag schwerer, mir diese Gelassenheit zuzugestehen?
Und weiter gedacht: Warum betrachte ich Ferien als Messlatte für mein „gutes Leben“?
Wenn ich alles damit vergleiche, kann der Alltag nur verlieren. Vielleicht geht es nicht darum, Ferien und Alltag gegeneinander auszuspielen, sondern ehrlicher hinzusehen. Leichtigkeit dort – Bodenhaftung hier. Beides gehört zu mir.
Vielleicht zeigt mir die Sehnsucht nach Ferien genau das: dass ich mehr Weite brauche. Nicht als Anstoss für die nächste Reise, sondern als Wegweiser im Alltag. Dass ich nicht immer getrieben sein muss. Dass ich mitten im Alltag Inseln schaffen darf – auch wenn sie kleiner sind, als ich sie mir wünsche.
Manchmal reicht ein kurzer Moment draussen, ohne Uhr, ohne Ziel. Einfach sein. So wie vor kurzem, am Fluss in Frankreich.
Foto: Anke Berning